Organstreitverfahren wegen Verletzung des parlamentarischen Fragerechts erfolgreich („Kommunikation Asylverfahren“)

Nr.3/2024  | 25.01.2024  | LVerfG  | Landesverfassungsgericht

LVerfG 1/23                                                                   Greifswald, den 25.01.2024

 

Organstreitverfahren

wegen Verletzung des parlamentarischen Fragerechts erfolgreich

(„Kommunikation Asylverfahren“)

 

Mit Urteil vom heutigen Tag hat das Landesverfassungsgericht auf den Antrag eines Abgeordneten des Landtags Mecklenburg-Vorpommern in dessen Organstreitverfahren festgestellt, dass ihn die Antragsgegnerin in seinen Rechten aus Art. 40 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LV M-V) verletzt hat.

Der Antragsteller stellte am 26. September 2022 eine Kleine Anfrage unter dem Titel „Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung bezüglich der Durchführung des Asylverfahrens eines verurteilten Straftäters“. Die Kleine Anfrage enthält unter anderem folgende Fragen:

„Welche Korrespondenzen zwischen Bund und Land fanden in dem einleitend genannten Fall bisher statt (bitte anonymisiert und in chronologischer Reihenfolge dieser Anfrage anhängen)? Welche Berichterstattungsformen wandte der Bund in diesem Fall dem Land gegenüber an?“

Mit der unter dem 24. Oktober 2022 als Landtags-Drucksache 8/1379 veröffentlichten Antwort teilte die Antragsgegnerin 16 E-Mail- bzw. Telefon-Korrespondenzen unter Datumsnennung mit. Angaben zum Gegenstand oder konkreten Inhalt der aufgeführten E-Mails und Telefonate enthält die Beantwortung nicht; ihr wurden auch keine Unterlagen beigefügt. Sowohl in der Sitzung des Innenausschusses des Landtags vom 3. November 2022 als auch in der Landtagssitzung am 10. November 2022 stellte der Antragsteller Nachfragen zu der Antwort der Antragsgegnerin, die der Staatssekretär des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung bzw. der Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung beantwortete.

Nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts hat die Antragsgegnerin den Antragsteller dadurch in seinen Rechten aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV M-V verletzt, indem sie die Kleine Anfrage vom 26. September 2022 hinsichtlich der ersten zu Ziffer 1 gestellten Frage nicht vollständig beantwortet hat.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die verfassungsrechtliche Pflicht der Landesregierung, auf parlamentarische Anfragen unverzüglich, nach bestem Wissen und vollständig Rede und Antwort zu stehen, ergebe sich aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV M-V. Nach bestem Wissen vollständig sei die Antwort, wenn die Landesregierung alle Informationen, über die sie verfügt oder mit angemessenem Aufwand verfügen könnte, lückenlos mitteilt und nichts, was bekannt ist oder mit zumutbarem Aufwand hätte in Erfahrung gebracht werden können, verschweigt. Ziel der Beantwortung auch interpretationsbedürftiger Fragen müsse sein, den wesentlichen Inhalt der Frage zu erfassen und den Kern des Informationsverlangens zu befriedigen.

Nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts genügt die Antwort der Landesregierung auf die erste zu Ziffer 1 gestellten Frage in der Kleinen Anfrage vom 26. September 2022 diesen Maßstäben nicht. Die Antragsgegnerin hätte für eine vollständige Beantwortung der ersten Frage zu Ziffer 1 Auskünfte über die Inhalte der Korrespondenzen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geben müssen, soweit es die ihrerseits an das BAMF mitgeteilten Informationen bzw. an das BAMF gerichteten Fragen betraf.

Aus der Art und Weise der Fragestellung ergebe sich, dass der Antragsteller nicht nur Informationen darüber begehrt habe, ob es überhaupt Korrespondenzen zwischen Bund und Land gegeben habe und welcher Art diese seien, sondern auch über Inhalte. Der Anspruch des Antragstellers auf die Beantwortung seiner Frage zu Ziffer 1 sei zumindest deswegen nicht erfüllt, weil ihm die vom Land an das BAMF gerichteten Anfragen nicht mitgeteilt worden seien, ohne dass für diese Weigerung ein Grund erkennbar sei. Insbesondere greife die Frage zu Ziffer 1 nicht in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ein. Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der gesamte Inhalt der Korrespondenz mit dem Bund nicht ihrer Zuständigkeit unterliege. Zwar könne sich der Informationsanspruch des Landtages und der einzelnen Abgeordneten von vornherein nicht auf Angelegenheiten beziehen, die nicht in die Zuständigkeit der Landesregierung fallen, da es insoweit an einer Verantwortlichkeit der Landesregierung gegenüber dem Landtag fehle. Für die von ihr gestellten Fragen und getätigten Äußerungen sei hingegen die Landesregierung verantwortlich. Dem stehe nicht entgegen, dass der Antragsteller eine vollständige Offenlegung der Korrespondenz einschließlich der Informationen, die das BAMF der Antragsgegnerin mitgeteilt habe, begehre. Eine Pflicht zu Teilantworten besteht nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts immer dann, wenn dies dem in der Anfrage zum Ausdruck kommenden Informationsinteresse der Abgeordneten bei objektiver Betrachtung entspreche und der geltend gemachte Verweigerungsgrund Teilantworten bereits tatbestandlich nicht entgegenstehe oder aber bei der gebotenen Abwägung kein hinreichendes Gewicht entfalte, um eine vollständige Antwortverweigerung zu rechtfertigen.

Da bereits ein Verstoß gegen Rechte des Antragstellers durch die Nichtoffenlegung des Korrespondenzteils, welcher auf die Landesregierung entfalle, vorliege, könne dahinstehen, ob die Landesregierung verpflichtet gewesen wäre, den Korrespondenzteil, welcher auf das BAMF entfallen sei, offenzulegen.

 

 Im Auftrag

Dorothea ter Veen
Pressesprecherin des Landesverfassungsgerichts